Ansbach ca. 1715–1717
26,9 cm hoch, vergoldete Silbermontierung am Fuß in Form von Akanthusblättern
Provenienz
Fürst Waldburg, Schloss Zeil („Zopfhenkel-Enghalskrug mit Papagei und Gimpel, Schmetterling und Gelse (Mücke) und sehr bunten Blumen (Hyazinthe, Nelke, Rosenknospe usw.)“, Pazaurek Bd. I S. 96,); Coll. Ms. M. Quinn; Sotheby’s 29.03.1971 Nr. 105 (für CHF 65.000,--); Slg. Robert G. Vater; Elfriede Langeloh
Bartholomäus Seuter (1678–1754) war es, der die hochentwickelte Kultur der süddeutschen Fayence-Hausmalerei des 17. Jahrhunderts, die mit ihrer Individualität die künstlerische Leistung der Manufakturmaler bei weitem übertraf, ins 18. Jahrhundert getragen hat – noch bevor Meissen sich entfalten konnte.
Im reichen Œuvre Seuters nimmt unser Krug einen unangefochtenen Spitzenplatz ein. Dr. Siegfried Ducret hat die Augsburger Hausmalerei in seinem zweibändigen Werk von 1972/73 umfassend gewürdigt. Unser Krug ziert als Frontispiz seinen zweiten Band (siehe nachfolgende Abb.). Schon Pazaurek (Bd. I S. 91-102) hat 1925 Seuters herausragende Rolle für die Fayencen des 18. Jahrhunderts erkannt und hervorgehoben, ebenso wie Robert Schmidt in der berühmten Frankfurter Ausstellung von 1925, in der nicht weniger als 8 Seuter-Krüge erstmals präsentiert wurden.
Bartholomäus Seuter
Seuter entstammt einer alteingesessenen weitverzweigten Goldarbeiter-Familie aus Augsburg. Er war ein ungewöhnlich vielseitiger Künstler und Unternehmer. Seuter war Goldschmiedemeister (seit 1707 in die Zunft der Goldschmiede aufgenommen), Fayence- und Porzellanmaler- sowie Händler, Majolika-Sammler, Seidenfärber und Fabrikant, Kupferstecher und Verleger. Er hat das Farbdruckverfahren des Niederländers Johannes Teyler weiterentwickelt und sich als erster mit dem Farbdruck mit verschiedenen Platten befasst. Zu dem monumentalen botanischen Werk Phytanthoza-Iconographia, mit über 1000 Tafeln (1735–1745) des Johann Wilhelm Weinmann aus Regensburg, hat er die kolorierten Kupferstiche geliefert. Zugearbeitet haben ihm dabei die Kupferstecher Jacob Haid und der ihm verschwägerte Elias Ridinger.
Hier wurde erstmals (!) im großen Stil, anstelle der ansonsten notwendigen Handkolorierung, der Farbdruck von Kupferstichen realisiert (Pazaurek I S. 98). Das Werk entsprach den höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen der Zeit auf der einen Seite und diente andererseits vielen Porzellanmanufakturen, insb. Meissen, als Vorlagen für die künstlerische Gestaltung ihrer Erzeugnisse. Das Riesenwerk führte unter anderem nicht zuletzt dazu, dass sich in Meissen, und ihr folgend alle anderen Manufakturen, der Übergang von den stilisierten Indianischen Blumen zu den sog. „Saxe Ombre“ und den deutsch Blumen vollzog.
Bartholomäus Seuter hat das bereits bei der Gestaltung seiner Enghalskrüge rund 30 Jahre früher ab 1715 vorweg genommen. Auch hier stand bei ihm die botanisch korrekte Wiedergabe der Blumen, aber auch die der Insekten im Vordergrund seines Schaffens. Er verstand es wie kein anderer seiner Zeit, die höchst dekorativen Blumen zu farbenprächtigen Gebinden zusammenzustellen. Seine doppelte Kenntnis der Farben und Farbzubereitung als Hausmaler und Seidenfärber in der Manufaktur seines Schwiegervaters, die er nach dessen Tod übernahm, sind ihm hierbei zugute gekommen. Der Reisechronist von Stetten (1779, S. 253) hat das sehr schön zusammengefasst: „Er (B. Seuter) ist überhaupt in chymischen Künsten und Zubereitungen sehr erfahren und zu schönen Erfindungen ungemein aufgelegt.“
Unser Krug
Nach Ducret stand unser Krug am Anfang dieser Entwicklung der neuen Ära der Hausmalerei. Ducret hat Seuter zurecht ein Genie genannt. Dazu gehört auch, dass es Bartholomäus Seuter verstand, die Goldmalerei auf Porzellan dauerhaft zu applizieren. In dem städtischen Privileg von 1726 hieß es ausdrücklich, „es sei seine Invention“ gewesen, das Porzellan, das er aus Meissen bezog, „mit Gold und Silber zu dekorieren“ (Ducret I S. 8.). Bartholomäus Seuter und sein jüngerer Bruder, Abraham, haben diese Kunst also schon vor der Meissener Manufaktur beherrscht, die zu dieser Zeit, trotz der Erfindungsgabe Höroldts nicht dazu befähigt war, und deshalb auf die Dienste ihres Subunternehmers Funcke bis 1726 angewiesen war.
Unser Krug steht zurecht am Anfang dieser Entwicklung, er vereinigt alle guten Eigenschaften Seuters. Seine Farben, seine Brillanz, den botanisch korrekten, aber gleichwohl dekorativen Blumenschmuck, das ornamentale Rahmenwerk und die Lust an der Exotik des 18. Jahrhunderts mit dem Papagei.
Die typischen Blattranken-Bordüren in Purpur Camaieu am Halsansatz und Fuß, sowie in zweierlei Grün auf dem abgesetzten Mündungsrand. Auf der Schauseite des Kruges ein großer dichter, farbenfreudiger Blumenstrauß, gehalten von einem — wie üblich — nicht geknoteten Flatterband und auf beiden Seiten flankiert von zwei großen Papageien. Der eine mit einem Kirschzweig im Schnabel, auf der Leibung verstreut große Schmetterlinge, kleine fliegende Insekten in freiem Raum zwischen den Blüten, auf dem quer gerippten Hals eine getreideähnliche Pflanze in Braungelb.
Unser großer Enghalskrug brilliert mit allen charakteristischen Merkmalen einer typischen frühen Arbeit Seuters:
Die bunte, kräftige und vielfältige Farbpalette in Purpur, Grüntönen, Blau, Gelb, Braun und Rot.
Das Kompositionsschema: die durch Dekorbänder zweigeteilte Malfläche.
Der große prächtige Strauß auf der Schauseite des Kruges mit der Liebe zum Detail, naturgetreu gemalt; Seuter war prädestiniert für die Arbeit am großen Werk Weinmanns.
Die dekorativen Beigaben in Form von großen Papageien und kleinen Insekten und Schmetterlingen.
Der Enghalskrug mit dem Zopfhenkel aus der Ansbacher Fayence Manufaktur.
Besonders nahe steht unser Enghalskrug dem im Museum für Angewandte Kunst Frankfurt (Ducret II Abb. 5; Bauer Nr. 356; Bayer 2te Auflage Ansbacher Fayence Abb. 171). Siehe auch den Kölner Krug (Brattig Nr. 65) sowie den Krug aus der Slg. Amelung (Mainfränkisches Museum Würzburg Abb. 16 S. 30).
Der ebenso natürliche wie dekorative Stil Seuters war neu und ein großer Erfolg, er konnte anhand des signierten und datierten (1717) Enghalskruges aus dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (Pazaurek I Farbt. 6 = Ducret II Abb. 9 S. 65) von Pazaurek identifiziert werden.
Datierung
Unser Krug ist etwa 1715–17 entstanden. Ducret datiert ihn vor allen anderen auf ca. 1715 (a.a.O.). Es gibt nur zwei datierte Fayencen von Seuter, beide aus dem Jahr 1717 — der oben genannte und jener aus der Slg. Neuner (I 2005 Nr. 21 = Pazaurek I Abb. 73). Beide, aber insb. letzterer weisen große Parallelen zu unserem Krug auf. Wir datieren daher etwas vorsichtiger auf etwa 1715–1717.
Ansbacher Fayence
Adolf Bayer hat 1958 in den Keramikfreunden der Schweiz über die Augsburger Hausmaler Krüge („Ansbach: Augsburger Hausmalerkrüge.“ Heft 44 S. 32– 34 Abb. 22–26) und in der zweiten Auflage seines Fayence Buches (1959 S. 185 f. u Abb. 176) überzeugend nachgewiesen, dass Bartholomäus Seuter Ansbacher Fayence Krüge verwendet hat — mit der besonderen Gestaltung der geflochtenen Zopfhenkel, insb. der Art und Weise wie die Ansbacher Dreher den unteren auslaufenden Teil der Henkelzunge an den Bauch des Kruges angedrückt haben — ein Ansbacher Alleinstellungsmerkmal, dass die alte Streitfrage „Ansbach oder Nürnberg?“ geklärt hat.
Literatur
Bauer, Margrit: Deutsches Porzellan des 18. Jahrhunderts., Museum für Kunsthandwerk Frankfurt 1983
Bayer, Adolf: Ansbacher Porzellan. Ein Handbuch für Sammler und Liebhaber., Braunschweig 1959
Bayer, Adolf: Die Ansbacher Fayence-Fabriken, Ansbach 1928
Ducret, Siegfried: Meissner Porzellan bemalt in Augsburg, 1718 bis um 1750. Band II: Bunte Augsburger Hausmalereien., Braunschweig 1972
Pazaurek, Gustav E.: Deutsche Fayence- und Porzellan-Hausmaler. 2 Bände., Leipzig 1925
Ziffer, Alfred: Malerei und Feuerkunst. Fayencen der Sammlung Neuner., Wolfratshausen, Ed. Minerva, 2005