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Scaramouche und Columbine

Meissen Modell von Johann Joachim Kaendler 1740, Ausformung bald darauf 

Höhe: 17,5 cm; Spuren einer unterglasurblauen Schwertermarke
Modellnummer 169

Provenienz: Slg. Wurm, „Frühes Meissener Porzellan“ Ausstellungskatalog Dresden / Düsseldorf 1997 Nr. 200; Jack and Bell Linsky, Sotheby’s New York 21.05.1985 Nr. 47

In der von Rafael veröffentlichen TAXA Kaendlers ist die Gruppe unter der Nr. 33 aufgelistet: „Ein Groupgen von zwey Figuren bestehend, so einander umarmen, daß Frauenzimer aber hält in der lincken Hand einen Vogelbauer 9 Thlr.“ (Rafael 2009 S. 48 mit Abb.).

Beschreibung


Kaendler hat das Modell nach Januar 1740 und vor 1741 geschaffen. In der Manufaktur-Spezifikation seiner Taxa zu den Feierabendarbeiten vom 01.10.1739 bis 31.01.1740 (Raphael S. 32) mit den TAXA-Nummern 7 bis 19 ist sie nicht enthalten, ebensowenig in den Listen für das Jahr 1741, die mit der Nr. 36 (nach Rafael) beginnt. Die TAXA-Nummer 33, zu der also kein Feierabendbericht vorliegt, kann aufgrund der Veröffentlichung Rafaels auf den Zeitraum Februar bis Dezember 1740 präzisiert werden (siehe Rafael S. 32 Tabelle 3b).

Meredith Chilton (2001 Nr. 82), die über das Exemplar im Gardiner Museum schreibt, hat die Datierung von 1740 bereits übernommen.

Modellnummer 169 
Die staatliche Manufaktur Meissen führt in ihrem Modellkatalog und in ihrer Preisliste vom April 1931 (T. VIII) unser Modell wie auch das mit Mops unter der Nummer 169 auf. Unser Modell entspricht dem Ursprungsmodell (Nr. 169), wohingegen das mit Mops als Folgemodell die Nummer 169X trägt.In der Taxa, die das Ursprungsmodell betrifft, wird der Mops nicht von Kaendler erwähnt. Die Seltenheit des ersten Modells spricht dafür, dass in der Folge wohl ausschließlich das Modell mit Mops zum Verkauf stand. In unserer Aufstellung (s.u.) der Vergleichsmodelle führen wir nur die wenigen Exemplar ohne Hund auf. 

Scaramouche
Der neapolitanische Scaramouche ist einer der Hauptgestalten und fester Bestandteil der Italienischen Komödie, was bei unserem Exemplar durch sein Spielkarten-Wams betont wird. Das Beinkleid, die weiße Halskrause und die schwarze nach hinten, lang herabfallende, tief in die Stirn gezogene Mütze sind ebenfalls typisch. Dieses Habit folgt spanischen Vorbildern, die Luigi Riccoboni (1676–1753) in seiner „Histoire du Theatre Italien“ (2. Auflage 1731 S. 325) darstellt. Er hat die „Explikation“ der Charaktere seiner Gruppe in der 1733 erschienen 2ten Auflage (1. Auflage von 1728) als anschauliche Ergänzung und konkrete Regieanweisung zusätzlich mit aufgenomen. Sie ist bislang in der Porzellanliteratur nicht rezipiert worden. Dort kann man lesen, dass der Scaramouche in den italienischen Theatern an die Stelle des großsprecherischen „Capitan Espagnol“ getreten ist, während er in Paris für alle Rollen brauchbar war – als ewiger Angeber, Draufgänger, und nimmer müder Schürzenjäger.

Bei unserer Gruppe spielt er den Liebhaber Columbines (so auch der offizielle Manufakturname), die mit allen Mitgliedern gut war. Der geschlossene Vogelbauer deutet darauf hin, dass Scaramouche ihre Liebe schon gewonnen („eingefangen“) hat, dass sie sich aber noch nicht der Liebe hingegeben hat.  Der geschlossene Vogelkäfig mit dem gefangenen Vogel war gerade zu jener Zeit als Kaendler die Gruppe geschaffen hat, eine beliebte Metapher, die die wechselseitige Bindung der Liebenden symbolisieren sollte. Nikolas Lancrets Ölgemälde „Les amours de Bocage“ von 1735 ist ein besonders schönes Beispiel hierfür (vgl. Kat. Gefährliche Liebschaften. Liebighaus Frankfurt 2015/16 S. 152 Kat. Nr. 34, Dauerleihgabe Hypo Vereinsbank; Wallwitz Celebrating S. 95; Chilton S. 300, die irrtümlich das Gemälde Watteau zuschreibt) 

Vergleichsstücke: 

  • Slg. Pauls-Eisenbeiss (Menzhausen S. 138 UK Bd S. 286 f.
  • Slg. Gustav von Gerhardt, Budapest (Nr. 81 T. 16)
  • Slg. Pannwitz, I 1925 Nr. 309 T. 78m, ähnliche Bemalung zu unserer Gruppe = 625 Lempertz 20.11.1987 Nr. 732
  • Slg. Emma Budge, Nr. 798 T. 129
  • Slg. Burda, Nr. 105 Pressnummer 45, dito mit Spielkarten-Wams
  • Gardiner Museum, Chilton a.a.O.

Literatur


Pauls-Eisenbeiss, Erika: German Porcelain of the 18th Century, The Pauls-Eisenbeiss Collection. London 1972

Menzhausen, Ingelore: In Porzellan verzaubert. Die Figuren Johann Joachim Kändlers in Meißen aus der Sammlung Pauls Eisenbeiss. Basel 1993

Chilton, Meredith: Harlequin Unmasked: The Commedia dell'Arte and Porcelain Sculpture. Yale 2001

Rafael, Johannes: Zur »Taxa Kaendler«. in Keramos 203 / 204 2009

Bückling, Maraike (Hg.): Gefährliche Liebschaften. Die Kunst des französischen Rokoko. München 2016

Wallwitz, Angela von: Celebrating Kaendler. Meissen porcelain sculpture.. München 2006

Bildergalerie


Scaramouche und Columbine
Scaramouche und Columbine
Scaramouche und Columbine
  • Beschreibung

    Kaendler hat das Modell nach Januar 1740 und vor 1741 geschaffen. In der Manufaktur-Spezifikation seiner Taxa zu den Feierabendarbeiten vom 01.10.1739 bis 31.01.1740 (Raphael S. 32) mit den TAXA-Nummern 7 bis 19 ist sie nicht enthalten, ebensowenig in den Listen für das Jahr 1741, die mit der Nr. 36 (nach Rafael) beginnt. Die TAXA-Nummer 33, zu der also kein Feierabendbericht vorliegt, kann aufgrund der Veröffentlichung Rafaels auf den Zeitraum Februar bis Dezember 1740 präzisiert werden (siehe Rafael S. 32 Tabelle 3b).

    Meredith Chilton (2001 Nr. 82), die über das Exemplar im Gardiner Museum schreibt, hat die Datierung von 1740 bereits übernommen.

    Modellnummer 169 
    Die staatliche Manufaktur Meissen führt in ihrem Modellkatalog und in ihrer Preisliste vom April 1931 (T. VIII) unser Modell wie auch das mit Mops unter der Nummer 169 auf. Unser Modell entspricht dem Ursprungsmodell (Nr. 169), wohingegen das mit Mops als Folgemodell die Nummer 169X trägt.In der Taxa, die das Ursprungsmodell betrifft, wird der Mops nicht von Kaendler erwähnt. Die Seltenheit des ersten Modells spricht dafür, dass in der Folge wohl ausschließlich das Modell mit Mops zum Verkauf stand. In unserer Aufstellung (s.u.) der Vergleichsmodelle führen wir nur die wenigen Exemplar ohne Hund auf. 

    Scaramouche
    Der neapolitanische Scaramouche ist einer der Hauptgestalten und fester Bestandteil der Italienischen Komödie, was bei unserem Exemplar durch sein Spielkarten-Wams betont wird. Das Beinkleid, die weiße Halskrause und die schwarze nach hinten, lang herabfallende, tief in die Stirn gezogene Mütze sind ebenfalls typisch. Dieses Habit folgt spanischen Vorbildern, die Luigi Riccoboni (1676–1753) in seiner „Histoire du Theatre Italien“ (2. Auflage 1731 S. 325) darstellt. Er hat die „Explikation“ der Charaktere seiner Gruppe in der 1733 erschienen 2ten Auflage (1. Auflage von 1728) als anschauliche Ergänzung und konkrete Regieanweisung zusätzlich mit aufgenomen. Sie ist bislang in der Porzellanliteratur nicht rezipiert worden. Dort kann man lesen, dass der Scaramouche in den italienischen Theatern an die Stelle des großsprecherischen „Capitan Espagnol“ getreten ist, während er in Paris für alle Rollen brauchbar war – als ewiger Angeber, Draufgänger, und nimmer müder Schürzenjäger.

    Bei unserer Gruppe spielt er den Liebhaber Columbines (so auch der offizielle Manufakturname), die mit allen Mitgliedern gut war. Der geschlossene Vogelbauer deutet darauf hin, dass Scaramouche ihre Liebe schon gewonnen („eingefangen“) hat, dass sie sich aber noch nicht der Liebe hingegeben hat.  Der geschlossene Vogelkäfig mit dem gefangenen Vogel war gerade zu jener Zeit als Kaendler die Gruppe geschaffen hat, eine beliebte Metapher, die die wechselseitige Bindung der Liebenden symbolisieren sollte. Nikolas Lancrets Ölgemälde „Les amours de Bocage“ von 1735 ist ein besonders schönes Beispiel hierfür (vgl. Kat. Gefährliche Liebschaften. Liebighaus Frankfurt 2015/16 S. 152 Kat. Nr. 34, Dauerleihgabe Hypo Vereinsbank; Wallwitz Celebrating S. 95; Chilton S. 300, die irrtümlich das Gemälde Watteau zuschreibt) 

    Vergleichsstücke: 

    • Slg. Pauls-Eisenbeiss (Menzhausen S. 138 UK Bd S. 286 f.
    • Slg. Gustav von Gerhardt, Budapest (Nr. 81 T. 16)
    • Slg. Pannwitz, I 1925 Nr. 309 T. 78m, ähnliche Bemalung zu unserer Gruppe = 625 Lempertz 20.11.1987 Nr. 732
    • Slg. Emma Budge, Nr. 798 T. 129
    • Slg. Burda, Nr. 105 Pressnummer 45, dito mit Spielkarten-Wams
    • Gardiner Museum, Chilton a.a.O.
  • Literatur

    Pauls-Eisenbeiss, Erika: German Porcelain of the 18th Century, The Pauls-Eisenbeiss Collection. London 1972

    Menzhausen, Ingelore: In Porzellan verzaubert. Die Figuren Johann Joachim Kändlers in Meißen aus der Sammlung Pauls Eisenbeiss. Basel 1993

    Chilton, Meredith: Harlequin Unmasked: The Commedia dell'Arte and Porcelain Sculpture. Yale 2001

    Rafael, Johannes: Zur »Taxa Kaendler«. in Keramos 203 / 204 2009

    Bückling, Maraike (Hg.): Gefährliche Liebschaften. Die Kunst des französischen Rokoko. München 2016

    Wallwitz, Angela von: Celebrating Kaendler. Meissen porcelain sculpture.. München 2006

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