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Lenoir-Uhr mit Meissener Harlekin-Familie, Vincennes-Blumen und feuervergoldeter Bronze von Lazare Duvaux, Paris

Gruppe aus drei Harlekin-Figuren aus der Commedia dell’arte-Serie für den Herzog von Sachsen-Weißenfels, von Johann J. Kaendler und Peter Reinicke, Meissen 1744–50; Lenoir-Uhr, signiert „Etienne LeNoir Paris“, 1750; Maße: 42 cm hoch; 31 cm breit; 18,5 cm tief; feuervergoldete Bronzemontierung mit Vincennes-Blumen

Provenienz: Slg. Giuseppe Rossi, Turin. Seit 1976 in dessen Palazzo an der Piazza San Carlo ausgestellt.

Der „Harlequin moderne“ ist außerordentlich selten. und sehr gesucht. Es sind nur 5 weitere Exemplare bekannt. In der großen Ausstellung Commedia dell’arte (2001) und im Gardiner Museum (Chilton 2001) fehlt er, ebenso in den bedeutenden Meissen-Sammlungen Schneider und Pauls-Eisenbeiss.

Die Pariser Uhrmacher-Familie Lenoir war seit dem frühen 18. Jahrhundert in der Rue Saint-Honoré angesiedelt, wo die meisten der berühmten Marchands den Pariser Luxuswarenmarkt bedienten (Sargentson 1996 S. 20). Der Marchand Mercier Lazare Duvaux, der unser Ensemble aus Uhrwerk, feuervergoldetem Uhrgehäuse, Sockel, Porzellanfiguren und den Vincennes-Blumen zusammengestellt hat, hatte sein Geschäft „Au Chagrin de Turquie“ ganz in der Nähe, in der Rue de La Monet (a.a.O. S. 34).

Duvaux war der Spezialist für die Bronze montierten Porzellane, die sog. „modelès fait exprès“ (a.a.O. S. 52). Er trug den Titel „marchand bijoutier ordinaire du roi” (a.a.O. S. 22). Seine beste Kundin war Mme. Pompadour, der er am 21.8.1750 eine Lenoir-Uhr zu dem sehr hohen Preis von 1.080 livres lieferte, deren Beschreibung exakt auf unsere passt. Die Uhr war als Geschenk für die Prinzessin von Neapel bestimmt. In seinem Livre-Journal (S. 59) schreibt er:

„Du 11 . — Mme la Marq. de Pompadour: Une pendule fur groupe de Saxe, garnie en bronze doré d’or moulu avec des plantes & fleurs de Vincennes, le mouvement de Le Noir, à huit jours, pour Mme la Princesse de Naples, 1,080 1.“

Alle Lenoir-Uhren, die wir haben finden können und die zusammen mit Meissener Porzellanen und Vincennes-Blumen montiert sind (s.u.), befinden sich noch heute in Schlössern und waren ehemals in fürstlichem Besitz. Aufgrund der Seltenheit, der exakten Beschreibung und der Tatsache, dass unsere Uhr aus italienischem Besitz stammt (der Kunsthändler Rossi kaufte aus dem Sammlungsbestand König Umbertos II, siehe Kat. Christie’s), ist anzunehmen, dass es sich um die Uhr für die Prinzessin von Neapel handelt.

Vergleichsstücke:

  • James A. de Rothschild Collection at Waddesdon Manor (Ayers Nr. 375 S. 126, Sargentson S. 52 Abb. 26)
  • Kurfürsten von Hessen-Kassel in Schloss Wilhemlstal (Verlet 2003 S. 118 Abb. 115)
  • Kurfürst Carl Theodor im Schloss Mannheim (Wikipedia: „Étienne LeNoir (Uhrmacher)“, am 17.09.2021 zuletzt geöffnet)

Die Meissener Harlekin-Familie
Ebenso wie die Lenoir-Uhr sind die Meissener Porzellane von hoher Qualität. Der „Arlequin moderne“ (Formnummer 538) ist eine sehr gesuchte und außerordentlich seltene Figur aus der Weißenfels-Serie der Komödianten.

Die Serie ist von Reinicke und Kaendler 1744 im Auftrag Johann Adolfs II, Herzog von Sachsen-Weißenfels (1685 – 1749?) – ein Vetter Augusts des Starken – geschaffen worden. Der Herzog war ein Kenner und Liebhaber der Commedia dell’arte. Er hatte 1722 im Rahmen der Fastnachtsfeste des Dresdener Hofes an dem Festzug des sog. „Caroussel Comique“ teilgenommen. Als Harlekin verkleidet, führte er die Harlekin-Quadrille an (Chilton 2001 S. 25).

Reinicke hat das Modell des Harlequin moderne wohl im April 1744 geschaffen. Noch im selben Monat wurde es von Kaendler „korrigiert“ (Chilton S. 27 f.). Als Vorlage diente der Stich Nr. 2 von François Joullain aus Luigi Riccobonis „Histoire du théâtre Italien“ (1. Auflage Paris 1728, zweite 1731, Langeloh Archiv). Der Stich geht zurück auf Entwürfe von Charles-Antoine Coypel, die dieser für seinen Freund Riccoboni für dessen Buch geschaffen hat (Lefrançois 1994 S. 437 ff. u. S. 59).

Jedenfalls gehört unser Harlekin zu den den 10 Figuren der Weißenfels-Serie, die Reinicke und Kaendler nach den Stichen Joullains zwischen März und Oktober 1744 geschaffen haben. Sie gehören zur ersten Gruppe der Weißenfels Serie (Chilton S. 27).

Die 18köpfige Serie war im 18. Jahrhundert sehr beliebt, entsprechend viele Ausformungen sind heute bekannt. Das gilt allerdings nicht für den Harlekin moderne, der sehr selten ist. Er fehlt in den meisten Sammlungen. In der großen Ausstellung Commedia dell’arte (2001) zum 50jährigen Jubiläum der Gesellschaft der Keramikfreunde war er nicht vertreten, ebenso wenig in dem umfassenden Werk „Harlekin Unmasked“ (Gardiner Museum) von Meredith Chilton. Ebenso fehlt er in den großen Meissener Sammlungen Schneider und Pauls-Eisenbeiss.

Jedding schreibt noch 1982 in dem Katalog des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe „Meissener Porzellan des 18 Jahrhunderts in Hamburger Privatbesitz“ (S. 215, mit dem Harlekin moderne auf dem Titel): „dass kein weiteres Exemplar ermittelt werden konnte.“

Folgende Vergleichsstücke haben wir finden können:

  1. Slg. Mr. Francis M. Baer, London, Hugo Helbibng München (Georg Lill) 12.3.1913 Nr. 19, an Starke für 900 Mark
  2. Slg. Gustav von Klemperer, Kat. Nr. 585
  3. Staatliche Museum Schwerin, Möller Nr. 46, aus herzoglichem Besitz
  4. Slg. Patricia Hardt Collection, Abraham 2010, Ex. Michelle Beiny, New York 2003
  5. Jedding Nr. 230 u. Titel

Die tanzende Harlekine – die Mutter unserer Harlekin-Familie – ist eine der wenigen weiblichen Figuren der Serie. Sie ist im Oktober 1744 entstanden und hat die dazu passende, frühe Modellnummer 455 (Abraham S. 60) – im Dezember 1747 war bereits die Nr. 921 erreicht (Rückert 1966 S. 42).

Das Modell war sehr beliebt, so dass es Reinicke 1747 wieder instand setzen musste. Im Arbeitsbericht dieses Jahres heißt es, eine „tanzende Arlequinin aus der italienischen Comödie in Thon rep. [repariert].“ In wieweit Kaendler hier mitgearbeitet hat, ist nicht belegt. Die Vermutung liegt aber nahe, da er der eigentliche Inventor der Serie war und die Komödianten-Truppe, die in von August III 1738 für Auftritte in Dresden engagiert worden war, aus eigenem Erlebnis kannte.

Vergleichsstücke:

  • Francis M. Baer, London Helbing 12.03.1913 Nr. 18 S. 9
  • Slg. von Dallwitz Kat. Lichthof-Ausstellung 1914 Nr. 525
  • Gustav von Gerhardt, Lepke Berlin 08.11.1911
  • Slg. von Klemperer Nr. 583 u 584
  • Ausstellungskatalog Commedia dell’arte. 2001 Nr. 37 S. 72 u. 55
  • Bonhams 14.5.2008 Nr. 70, für EUR 20.000

Einzigartig und in keiner Sammlung nachweisbar ist das Paar Harlekin moderne und Harlekine, wie es auf unserer Uhr vereinigt ist. Wir verdanken es dem ambitionierten Marchand Mercier Lazare Duvaux, der es in Kenntnis der Meissener Komödienserie für seine anspruchsvolle Kundschaft für die Pompadour als Geschenk für die Prinzessin von Neapel zusammengestellt hat.

Lazare Duvaux hat dem Komödiantenpaar noch die Tochter im Harlekin-Kostüm erweitert. Ein direktes Vergleichsstück für die kleine Harlekine haben wir nicht finden können. Eine ähnliche Figur ist in der Sammlung Adams (I 1987 S. 206) zu finden. Ebenfalls im Kostüm der Harlekine. Die Figur hat die Formnummer 1b. Wir datieren sie entsprechend der Lenoir-Uhr auf 1750, weil für diesen exklusiven Auftrag nur Meissener Figuren à la mode verwendet wurden. Wir zählen sie daher nicht zu der späteren, gräflich kaiserlingschen Serie von 1765, die mit 21 cm deutlich höher ist (siehe Arbeitsbericht Kaendler vom Juni d.J. u. Klemperer Nr. 598 ohne Abb.).

Literatur

Abraham, Birte: Commedia dell'Arte. The Patricia and Rodes Hart Collection of European porcelain and Faience., Amsterdam 2010

Adams, Len u. Yvonne: Meissen Portrait Figures., London 1987

Ayers, John u. Charleston, R. J.: The James A. de Rothschild collection at Waddesdon Manor. Meissen and other European Porcelain & Oriental Porcelain., London 1971

Chilton, Meredith: Harlequin Unmasked: The Commedia dell'Arte and Porcelain Sculpture., New Haven / London 2001

Duvaux, Lazare: Livre-Journal de Lazare Duvaux, Marchand-Bijoutier Ordinaire Du Roy., Paris 1873

Jansen, Reinhard (Hrsg.): Commedia dell'arte. Fest der Komödianten., Stuttgart 2001

Jedding, Hermann: Meissner Porzellan des 18. Jahrhunderts in Hamburger Privatbesitz., Hamburg 1982

Lefrançois, Thierry: Charles Coypel. Peintre du roi (1694-1752)., Paris 1994

Möller, Karin Anette: Meissener Porzellanplastik des 18. Jahrhunderts. Die Schweriner Sammlung., Schwerin 2006

Sargentson, Carolyn: Merchants and Luxury Markets: The Marchands Merciers of Eighteenth-Century Paris, V & A Publications, London 1996

Schnorr von Carolsfeld, Ludwig: Porzellansammlung Gustav von Klemperer., Privatdruck Dresden 1928

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