Böttgerporzellan, Meissen 1725 / Ohne Marke (wie üblich) / Bemalung von Johann G. Höroldt / Goldbordüren und Böttgerlüster von George Funcke / Höhe: 10,8 cm / Länge: 10,5 cm (ohne Henkel)
Provenienz: Maurice de Rothschild, Edmond de Rothschild (Christie’s 28.3.1977 Nr. 28) / The Robert Compton Jones Collection, London/Sidney
Malerei
Ein außergewöhnlicher Bourdalou mit feinsten Chinoiserien von Höroldts eigener Hand.
Die Vorderseite des Bourdalous ziert eine für Meissen ungewöhnliche Malerei: eine fröhliche Badeszene, in einem mit Schilf bewachsenen Teich mit zwei nackten Chinesinnen im Wasser, links daneben ein zuschauendes Paar in einer Art Badehäuschen am Uferrand.
Wir haben nur eine vergleichbare Szenerie finden können: Die in der Mitte des Bildes stehenden nackten Chinesinnen vor dem großen Schilfgewächs sind völlig gleich auf einem Krug in der Eremitage St. Petersburg (Liackhova 2007 Nr 25, siehe nachfolgende Abb.). Interessant ist, dass dieser Krug aus Höroldts unmittelbarem Familienumfeld stammt. Er ist dem Bruder seiner Ehefrau „G(eorge) E(rnst) Keil 1726“ gewidmet.
In der Sammlung Carabelli (Pietsch Nr. 44) ist eine Unterschale zu einem Koppchen, die ebenfalls eine vergnügte Badeszene zeigt (siehe nachfolgende Abb.). Hier sind es spielende nackte Kinder die von einem Erdhang aus in einen Teich rutschen. Ulrich Pietsch schreibt dazu: „die lebensvolle schwungvolle Darstellung wird man ehesten Höroldt zuschreiben wollen.“ Dieses Urteil gilt erst recht für unseren Bourdalou. Pietsch datiert die Tasse (ebenfalls ungemarkt) mit 1725, ebenso wie wir unseren Bourdalou.
Die Szene auf der Rückseite unseres Bourdalous findet sich wieder auf einem Limonaden-Becher aus der Sammlung Franz und Margarethe Oppenheimer (Rijksmuseum Den Blaauwen Nr. 41 = Pietsch 1996 Nr. 140 = Sotheby's New York 14.09.2021 Nr. 58), den Höroldt der Schwiegermutter oder seiner Schwägerin gleichen Namens — Beate Christina Keilen — zum 16.09.1726 gewidmet hat (siehe nachfolgende Abb.). Unsere Szene, in der Darstellung weitestgehend übereinstimmend, ist allerdings größer, breiter und in ihrem eigentlichen Narrativ vollständiger angelegt.
Bei der Darstellung unseres Bourdalous — anders als beim Becher — erschließt sich der eigentliche Sinn der Szene. Es ist die dem Meister und sein Werk mit Blicken und Gesten bewundernde Chinesin, während dieser mit seinem langstieligen Pinsel und seinem breitkrempigen Hut letzte Hand an sein Werk legt, mit dem er offensichtlich zufrieden ist. Sie fehlt in Amsterdam. Der fragende Blick zurück des Chinesenknaben, der die Leinwand hält, geht ins Leere und bleibt dort ohne Erklärung. Unsere Figuren sind größer, feiner ausgemalt und plastischer. Das gilt auch für den Chinesen hinter dem Meister, der die Szene und nicht das Bild betrachtet, was man in Amsterdam nicht so genau beobachten kann.
Wir haben es hier also mit dem extrem seltenen, wenn nicht einmaligen Fall zutun, dass Höroldt die beiden Seiten des Bourdalous mit Szenen bemalt hat, von denen er so angetan war, dass er sie auf zwei Widmungsporzellanen wiederholt hat. Angesichts der noch besseren Bemalung unseres Bourdalous halten wir diesen, auch ohne eine Widmung, für eine eigenhändige Arbeit Höroldts. Hinzukommt, dass unser Nachtgeschirr 1725, also früher bemalt worden ist, und er insofern als Vorläufer oder Vorbild für das Widmungsexemplar gedient haben kann.
Das Motiv findet sich im Schulz-Codex gleich dreimal: T 74 III 2, T 80 II 1, T 4 II 1.
Datierung
Die Angaben zur Datierung der frühen Chinoiserie Bourdalous schwanken in der Literatur zwischen 1723 und 1735. Aus den Wochenberichten der Meissner Dreher und Former (Boltz In Keramos 178/2002 S. 48 f.) wissen wir, dass Meissen die Produktion der Nachttöpfe — wie sie damals noch hießen — 1723 mit dem Böttger’schen Kalkporzellan begann, die in diesem Fall bis 1725 reichte; 1726 gab es keinerlei Fertigung, während die Produktion mit der neuen Feldspat-Masse 1727 einsetzte. Unser Bourdalou besteht aus Böttger’schen Kalksteinporzellan, wie man an seiner Transluzidität sehen kann. Wir datieren ihn daher auf etwa 1725, inkl. der zeitnahen Bemalung. Zu dieser Datierung passt, dass innerhalb dessen Kartuschen-Malerei keinerlei Goldelemente zu finden sind. Das hängt damit zusammen, dass Höroldt erst ab 1726 die Goldmalerei beherrschte und damit von Funcke und dessen Dresdner Werkstatt unabhängig geworden ist. Bis dahin stammen die Goldbordüren und Goldornamentik immer und ausschließlich von Funcke, die Kartuschen-Malerei (ohne Gold-Elemente immer und ausschließlich von Höroldt und seiner Werkstatt).
Ducret datiert den Münchener Bourdalou der Residenz ebenfalls auf 1725, allerdings ohne nähere Begründung, ebenso wie Ulrich Pietsch, der den Unterteller in der Sammlung Carabelli mit der sehr ähnlichen Malerei einer frühen chinoisen Badeszene (s.o. Pietsch Kat. Slg. Carabelli Nr. 44) Höroldt zuschreibt und ähnlich datiert. Die für Meissner Verhältnisse außergewöhnliche, lebensfrohe und schwungvolle Badeszene ist nach Ulrich Pietsch am ehesten Höroldt zuzuschreiben.
Bourdalou
Der „Bourdalou“ ist ein Nachtgeschirr für Damen. Es gibt ihn in zwei Arten, als längsovalen und fast rundovalen „Pot de chambre.“ Beide Formstücke werden ab etwa 1740 "Bourdalou" genannt (Kat. Slg. Ludwig Nr. 66; Ducret in KFS 26/1953 S. 15). Die kleineren Ausführungen konnten die Damen mit sich führen und ihnen über allfällige Verlegenheiten hinweghelfen. Beide Pots de chambres sind nach dem französischen Jesuitenpater, Hofprediger Ludwigs XIV und Professor der Rhetorik Louis Bourdalou (1632 — 1704) benannt. Seine ebenso fesselnden wie langen Predigten am Hofe des Sonnenkönigs erfreuten sich größter Beliebtheit. Einer Legende zufolge reservierten sich die Hofdamen bereits Stunden vor seinen Predigten einen Platz in der Kirche; um ihn nicht zu verlieren, bedienten sie sich des Bourdalous (Schurr in Kat Slg. Ludwig Nr. 66).
Etwa 20 Jahre nach dem Tod des berühmten Paters hat Meissen mit der Produktion dieses nützlichen Utensils begonnen. Die ersten waren zugleich die prächtigsten. Feinst gemalte Chinoiserien mit phantasievoll ausgemalten Szenen und lustigen Einfällen beherrschten das luxuriöse Ambiente. Meissen hat es geschafft, dass die Bourdalous zu den unverzichtbaren Utensilien des höfischen Alltags gehörten, wobei die von Boltz (in Keramos 178/2002 S. 68) publizierten Wochenberichte der Meissner Former den großen Umfang der Produktion zwischen 1722 und 1728 zeigen. Die „aufwendig fein emaillierten“ erbrachten den außerordentlichen Preis von 45 Talern (Berling S. 181 Nr. 123 gemäß der Taxa vom 17.6.1731).
Im Preiscourant von 1765 werden sodann für die Standardausführung („glatt mit natürlichen Blumen, Gold. Rand“) nur noch 6 Taler 12 Groschen für den runden großen bzw. 1 Taler weniger für die ovalen verlangt (Berling S. 195). Dieser enorme Preisunterschied macht noch einmal deutlich, wie entscheidend die Qualität der Malerei für die Preisfindung war, was schon Ducret (a.a.O.) herausgearbeitet hat.
Vergleichsstücke
Beide Bourdalou-Typen (alle offensichtlich ohne Schwertermarke) sind selten, wir haben von den rundovalen nur die folgenden sechs Vergleichsstücke finden können:
Bayerisches Nationalmuseum (Rückert Nr. 188 T. 52 mit Chinoiserien), L. 19,7 cm H. 9,3 cm = Hofmann 1908 Nr. 40 = Boltz in Keramos 178/2002 S. 70 Abb. 63 = Ducret Bd. I Nr. 73 = Schönberger: Meissener Porzellan mit Höroldt-Malerei. 1953 Abb. 4 u. 5 = Ducret in Keramikfreunde der Schweiz 26/1953 Titelbild
Slg. Schneider, Schloss Lustheim, Bayerisches Nationalmuseum, Schommers 2004 S. 126-129, L. 19,8 cm H. 11,5 cm
Museo Duca di Martina di Napoli (Kat. 1994 Nr. II4 S. 78, mit Stadler Chinoiseren), L. 9,5 cm H. 11 cm
Slg. Albert Gerard, Paris (Drouot 18.-23.3.1900 Nr. 354)
Slg. H.E. Baker, London (KFS 26/1953 Abb 1 u 2 T. I, Stadler Chinoiserien) L. ca. 20 cm
Die Slg. Rothschild hatte insg. 4 Bourdalous, davon zwei rundovale: neben unserem siehe Rothschild II (Christie’s 17.10.1977 Nr. 21), L. 20 cm, Henkel neu angesetzt = Metz 23.10.2010 Nr. 390 (Preis EUR 150.000,--) = Hans H. Mischell Anzeige im Ausstellungskat. Fest der Komödianten 2001
Literatur
Berling, Karl: Das Meissner Porzellan und seine Geschichte., Leipzig 1900
Boltz, Claus: Die wöchentlichen Berichte über die Tätigkeit der Meissner Dreher und Former vom 6. Juni 1722 bis 31. Dezember 1728, In Keramos 178/2002
Chilton, Meredith u. Lehner-Jobst, Claudia (Hrsg.): Fired by Passion. Vienna Baroque Porcelain of Claudius Innocentius Du Paquier. 3 Bände., Hartford / Stuttgart 2009
Den Blaauwen, Abraham L.: Meissen Porcelain in the Rijksmuseum., Amsterdam 2000
Ducret, Siegfried: „Bourdalous.“, In KFS 26/1953 S. 15 – 17
Liackhova, Lydia: The Myth of the Orient: Eastern Subjects in early Meissen Porcelain., Ausstellungskatalog Eremitage St. Petersburg 2007
Pietsch, Ulrich: Frühes Meißener Porzellan. Sammlung Carabelli., München 2000
Schurr, Eva: in Die Sammlung Ludwig in Bamberg, Petersberg 2010 Bourdalou
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