Polierter, gemuschelter Böttgersteinzeug-Krug
Vergoldeter Kupferdeckel / Höhe: 23,5 cm (18,9 cm ohne Deckel) / Meissen 1710/13
Provenienz: Slg. Dr Julius und Joan Jacobson; Slg. Ilse Bischoff, Sotheby’s New York 24.2.1978 Nr. 75; Slg. Margarete Oppenheim, Julius Böhler 18.–20.5.1936 Nr. 767 T. 49 — dem Verkauf des Kruges liegt eine Vereinbarung mit den Erben Oppenheim zugrunde
Neben den marmorierten und den emaillierten frühen Böttgersteinzeug-Krügen und denen von Martin Schnell selbst dekorierten Schwartz Porcelain-Krügen gehörten die gemuschelten und polierten Böttgersteinzeug-Krüge zu den kostbaren und seltensten Krügen. Von jeder dieser Gattung sind heute weniger als 10 Stück bekannt.
Bierkrüge gehörten schon zum ersten Produktionsprogramm der jungen Manufaktur, wie das in der Leipziger Zeitung vom 4. Mai 1710 veröffentlichte Sortiment zur ersten Leipziger Frühjahrsmesse zeigt.
Die Bierkrüge waren eine Erfolgsmodell, wie man einem der ältesten Inventare der Manufaktur vom 3. August 1711 entnehmen kann (Boltz In KfS 96/1982 S. 35). Hier werden im eigens den Bierkrügen gewidmeten Abschnitt nicht weniger als 388 aufgeführt – darunter allerdings kein einziger hoher gemuschelter, sondern nur 21 niedrig gebrannte und 53 ungebrannte, genuschelte. Soweit ersichtlich sind von diesen kein einziger mehr bekannt.
Nach dem Tod Böttgers (3.3.1719) wurden sämtliche vorhandenen Lagerbestände der Manufaktur inventarisiert. Hier findet sich unter den mehr als 2000 Positionen lediglich ein einziger gemuschelter und polierter Steinzeugkrug und zwar im königlichen Porzellanwarenlager zu Leipzig (Boltz in Keramos 167-68/2000 S. 44) unter der lfd. Nr. 6: „gemuschelt, geschnitten, poliert.“
Dieser Krug wird auf S. 46 zusätzlich wie folgt beschrieben: „ein gemuschelt = geschnittener dit. (Tischkrug) ohne Deckel, auswendig poliert“
Diese Dokumentation soll die Seltenheit der gemuschelten Steinzeugkrüge zeigen. Darin liegt wohl auch begründet, dass heute kein einziger gemuschelter Bierkrug aus den reichen Sammlungen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden veröffentlicht werden konnte.
In der hierzu detailliert erstellten Lieferliste vom 15. März1733 über das „braun polierte Porcelain“ (Boltz a.a.O. S. 113) fehlt dieser Krug. Er war also zwischen 1719 und 1733 entweder verkauft oder verschenkt worden. Im ersten Inventar des Japanischen Palais von 1721 bis (zunächst Mai 1727) ist kein gemuschelter Krug enthalten. Da die zwischen 1710 und 1713 (Ende der Produktion) entstandenen Krüge bis auf den o.g. alle verkauft worden waren und von daher nicht in die königlichen Sammlungen einverleibt werden konnten.
Wir datieren unseren gemuschelten Krug zwischen 1710 und 1713 – der Zeitraum der Böttgersteinzeug-Produktion. Die Böhmischen Glasschneider und Schleifer, die zur Verschönerung des Steinzeugs von Böttger eingestellt worden waren, wurden mit Beginn der „Weißporcelain“-Produktion 1713 wieder entlassen.
Claus Boltz (KFS 96/1982 Anhang I S. 35 lfd. Nr. 185) hat anhand des oben zitierten Leipziger Inventar-Eintrags von 1711 das Prinzip des Muschelns neu definiert. Die Muschelung der Bierkrüge wurde nicht – wie bislang angenommen (Zimmermann Frühzeit und Erfindung S. 78 u. Fn. 208 und Menzhausen 1969 S. 15) – nachträglich eingeschliffen, sondern bereits vor dem Brand ausgeformt. Siehe auch Pietsch Syndram 2009 S. 44 u. Pietsch Lübeck S. 7). Der zitierte Inventareintrag spricht ausdrücklich von „ungebrannten gemuschelten Krügen“.
Die Muschelung diente dazu, den polierten Steinzeugkrügen noch mehr Glanz, und dank Lichtbrechung der Oberfläche eine ästhetische Lichtreflektion zu geben.
Vergleichsstücke
Wir haben nur wenige Exemplare finden können:
- Stiftung Schloss Friedenstein, Gotha (Das rote Gold 2011: Nr. 124, mit Steinzeugdeckel, 18,9 cm hoch (ohne Deckel), Boltz in Keramos 176/68 2000 Abb. 48 S. 48
- Slg. Adalbert Freiherr von Lanna I Prag, 559. Lepke 15.11.1909 Nr. 1516 T. 100, 18,7 cm hoch, Steinzeug Deckel, silberner Knauf in Form einer Muschel
- Slg. Dr. René Hamburg, Lange 7.–9.4.1938 Nr. 636